· Mio Michaela Obernosterer ·
PID: http://hdl.handle.net/21.11108/0000-0007-F441-C
Das für die vorliegende Ausgabe ausgewählte Titelbild ist eine Fotografie von Florian Rieder, entstanden im Dezember 2019, wenige Tage vor Weihnachten, in Grado. Es ist kein schönes Bild im herkömmlichen Sinne, keine touristische Perspektive auf den berühmten italienischen Badeort, kein Postkartenmotiv, bei dem man Lust auf einen Strandurlaub bekommt. Es zeigt den Blick aufs winterlich graue Meer, die Gischt, die über den Steg spült, den Damm aus unbearbeiteten Steinen, die Regenwolken am Horizont. Man spürt fast den kalten Wind, der das Meer aufpeitscht, einem unter den Kragen kriecht und die Tränen in die Augen treibt. Man ahnt, die Strandpromenade im Rücken des Fotografen ist menschenleer und wird es noch für Monate bleiben. Das Bild ist trist, düster, vielleicht sogar ein bisschen bedrohlich, anders als die üblichen Urlaubsaufnahmen – und gerade darin liegt sein besonderer Reiz.
Florian Rieder, geboren 1982 in Kärnten, lebt und arbeitet als Grafikdesigner in Wien. In seinem Beruf hat er es täglich mit den Hochglanzbildern der Werbung zu tun: perfekt arrangierte und inszenierte Foto- und Videoaufnahmen, aus denen noch der kleinste Makel akribisch entfernt wird. Im eigenen fotografischen Werk hält er lieber die unperfekten Seiten des Lebens fest, ungestellt und spontan, mit einem Auge fürs Ungewöhnliche, einem Händchen für spannende Bildkompositionen und einem Gespür für besondere Blickwinkel und Details. Sein liebstes Motiv ist die freie, ungezügelte Natur – von der Adriaküste bis zur wilden Weite der Kärntner Bergwelt. Aber auch künstliche, von Menschenhand erschaffene Objekte wie Bauwerke oder alltägliche Gegenstände wecken sein Interesse. Wie im vorliegenden Bild versucht er dabei stets über den Horizont des Motivs hinauszuschauen, es in seinen Fotografien weiterzudenken und das nicht Sichtbare spürbar zu machen.
Florian Rieder versteht sich nicht als professioneller Fotograf, das Fotografieren ist und bleibt für ihn Privatsache. Seine erste Digitalkamera kaufte er im Alter von 17 Jahren: auf neuestem Stand mit 2 MP Auflösung und 64 MB Speicher. Während seines Design-Studiums an der Hochschule Augsburg experimentierte er außerdem mit analoger Fotografie und Entwicklung im Labor. Seitdem haben sich nicht nur die technischen Spezifikationen geändert, sondern auch seine persönlichen Vorlieben und handwerklichen Fertigkeiten. So fotografiert er z. B. bevorzugt mit wenig Licht und viel Kontrast, sei es in Schwarz-Weiß oder in natürlichen Grün- und Erdtönen. Seine Fotos stellt er auf Online-Plattformen wie Unsplash oder Flickr kostenlos zur Verfügung. Was für ihn zählt, sind authentische Momentaufnahmen und die damit verbundenen Erinnerungen und Emotionen, die er mit der Welt – und uns – teilt.